#10 Raúl Krauthausen | Wie kann digitale Hochschulbildung inklusiv funktionieren – ohne auszugrenzen?

Shownotes

Inklusion bedeutet, dass jede Person, unabhängig von ihren individuellen Merkmalen, das Recht auf uneingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft hat. Leider stehen dieser Vision aktuell noch einige Hindernisse im Weg – so auch in der Bildung. Und klar ist: Digitalisierung allein ist nicht die Lösung.

Raúl Krauthausen ist im Rollstuhl unterwegs und setzt sich für eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft ein. Seiner Meinung nach braucht es einen Perspektivwechsel und den Einbezug von Menschen mit Behinderung in die Prozesse. Die Message, die Raúl in dieser Folge teilt, ist besonders bedeutungsvoll – weit über die Grenzen der Bildung hinaus. Was sind die offensichtlichen Barrieren? Wie lassen sich „digitale Katzentische“ verhindern? Wird die Bildung 2030 barrierefrei sein? Und wie kann digitale Hochschulbildung inklusiv funktionieren? Spannende Fragen und spannende Meinungen – ob einig oder uneinig.

Bei Fragen oder Feedback kannst du uns gerne schreiben an: einiguneinig@iu.org

Das Transkript der Folge findest du hier: https://einiguneinig.podigee.io/13-10-raul-krauthausen-wie-kann-digitale-hochschulbildung-inklusiv-funktionieren-ohne-auszugrenzen

Weitere Informationen zur IU Internationale Hochschule findest du unter: www.iu.de

Hier findest du Alexandra auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/alexandrawuttig/

Hier findest du Lena auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/lena-saelzle/

Transkript anzeigen

00:00:00: Music.

00:00:21: Hallo liebe Hörerinnen und liebe Hörer bei Einig Uneinig, digitale Bildung to be discussed.

00:00:26: Bis 2030 soll für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sichergestellt sein.

00:00:32: Das ist das Oberziel der Agenda Bildung 2030 die vor 8 Jahren von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde aber stehen wir aktuell da wo wir sein sollten?

00:00:42: Über diese Frage, aktuelle Hürden und mögliche Lösungsansätze sprechen Professor Doktor Alexandra Wittig und Raul Krauthausen in dieser Folge.

00:00:50: Als Inklusionsaktivist und Gründer der Sozialhelden setzt sich Raul für eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft durch Akzeptanz und Innovation ein.

00:01:03: Hallo Raul, schön dass du heute da bist um mit uns über dieses wichtige Thema zu sprechen. Eine schnelle Frage vorab:

00:01:09: Welche Rolle hat Inklusion bei euch in der Schulzeit gespielt, Raul.

00:01:13: Bei mir war das eine sehr zentrale Rolle, weil das war eine der ersten Inklusionsschulen in Deutschland auf die ich gegangen bin wir hatten

00:01:23: glaub ich, vier Kinder mit Behinderung und der Rest der Klasse hatte keine Behinderung und das war für uns, das klingt jetzt so pathetisch, aber das Normalste auf der Welt. Ich habe erst nach meiner Schule

00:01:36: erfahren, dass das eine besondere Schule war in der Hinsicht aber es war keine Sonderschule.

00:01:43: Genau und da sieht man schon den Unterschied zu mir, bei uns, also bei mir hat es überhaupt keine Rolle gespielt. Dazu muss man sagen, also ich bin die Hälfte meiner Schulzeit in Rumänien zur Schule gegangen da so also

00:01:53: 0 und dann in Deutschland auch überhaupt keine Rolle gespielt 0, ja leider.

00:02:00: Vielen Dank für Eure Einschätzung. Inklusion bedeutet eine gemeinsame Lösung zu finden von denen alle profitieren und teilhaben dürfen

00:02:08: heute wollen wir vor allem über Inklusion im Bildungskontext sprechen. Was sind die offensichtlichen Barrieren in der Bildung?welche Beobachtung macht ihr selbst? ja also ich glaube.

00:02:18: Jetzt aus meiner Perspektive ist die Hauptbarriere, dass wir uns oft das zu einfach machen und uns nicht vorstellen können was es tatsächlich für Barrieren gibt.

00:02:27: Ganz ganz konkretes Beispiel: wir an der you denken dadurch dass wir Videos haben und Podcast und PDFs,

00:02:36: sollte es doch für jeden möglich sein Zugang zu den Inhalten zu bekommen. Ohne uns vorstellen zu können dass es,

00:02:42: je nachdem mit was für Problemen die Menschen zu kämpfen haben, ist doch nicht für jeden möglich ist ja und ich habe machen es ist einfach zu einfach und sagen: wir haben doch das was es auf Papier gab ,doch digitalisiert, also quasi ist es jetzt im Intranet

00:02:54: abrufbar oder so, damit ist es digital, damit haben wir doch alles getan, was Barrierefreiheit bedeuten würde und das ist es nicht. Das ist vielmehr und das stellen wir halt jeden Tag fest und das können wir nur verstellen indem wir einen Dialog

00:03:09: mit den Betroffenen quasi eingehen und hören was sie wirklich brauchen das ist so aus meiner Sicht. Also das ist, glaube ich,

00:03:16: das was im Moment, wo wir es geht, wir lernen halt jeden Tag dazu und die ist jeder Mensch ist gleich und jemand der nicht sieht, braucht andere Hilfsmaßnahmen als jemand, der nicht hören kann. Und auch selbst zwei Menschen die nicht sehen sind auch nicht

00:03:32: gleich mit miteinander, ja, auch die braucht vielleicht unterschiedliche Sachen, dafür müssen einfach mehr miteinander da in die in die Kommunikation gehen.

00:03:41: Raul, wie ist deine Perspektive da drauf.

00:03:45: Ja, vielleicht ist meine Perspektive dann noch ein bisschen komplex insofern, dass ja natürlich auch der Zugang zur Hochschule

00:03:54: vielen Menschen mit Behinderung ja von vornherein verwehrt wurde und wird bei z.b. vielen Menschen mit Behinderung an Sonderschulen unterrichtet werden.

00:04:04: Oder dann oft gar keinen Zugang zum Abitur haben, weil das Abitur nicht angeboten wird, das nächste Gymnasium hat keinen Aufzug, ist nicht barrierefrei.

00:04:13: Und das Lehrpersonal an den Regelschulen kann sich immer damit rausreden, dass sie sagen

00:04:20: für Kinder mit Behinderung bin ich nicht ausgebildet, deswegen mache ich das nicht.

00:04:25: Und da finden quasi Ausschlüsse statt die noch nicht mal technologischer Natur sind, sondern eben einfach auch sehr häufig Argumente benutzt werden, die

00:04:39: immer den Eindruck machen aber es wäre das Beste für die behinderten Schülerinnen.

00:04:45: Aber in Wirklichkeit geht es immer nur darum bloß nichts am System zu ändern. Also wenn eine Lehrkraft sagt für 

00:04:52: Schüler:innen/Lernende mit Behinderung, bin ich nicht ausgebildet, dann ist die einzige Antwort, die man darauf geben kann, 

00:05:02: dass Eltern von behinderten Kindern vorher auch nicht ausgebildet waren. Absolut.Und woher kommt diese Anmaßung zu sagen: Bevor ich einem behinderten Menschen die Hand reiche,

00:05:12: muss ich erst mich fortbilden. Das sagen wir auch nicht über andere Menschen oder Rothaarige. Und das ist erstmal so eine Haltungsfrage. Und dann sehe ich ganz genauso wie Alex, dass die 

00:05:27: Technologien auf der einen Seite viel Teilhabe ermöglichen könnten. Also, 

00:05:32: man spricht ja hier zum Beispiel vom sogenannten Zwei-Sinne-Prinzip. Das, was ich vielleicht nicht sehen kann, weil ich blind bin, kann ich dann aber vielleicht ertasten oder hören.

00:05:41:  Das, was ich nicht hören kann, weil ich gehörlos bin, kann ich aber zumindest lesen oder nachvollziehen in Gebärdensprache. 

00:05:49:  Das setzt aber eben immer voraus, dass alles, was ich produziere, an Medien auch mit zwei Sinnen erfassbar sein sollte

00:05:55: Also ein Video alleine reicht nicht, sondern es benötiget dann eben Untertitel. Ein Podcast alleine reicht nicht, sondern er müsste transkribiert werden.

00:06:06: Und digital ist auch nicht gleich digital. Also ist es ein gescanntes PDF

00:06:11: ohne Texterkennung oder ist es einfach maschinenlesbar? Und wenn die maschinenlesbar sind, dann

00:06:19: kann die Person, die keine Ahnung, einen E-reader benutzt oder eine Braillezeile benutzt, dann quasi damit auch autonomer

00:06:27: und selbstbestimmter umgehen, Schriftgrößen verändern oder eben auch das Ertasten

00:06:34: mit der mit der Braillezeile, mit dem Punktschrift für blinde Menschen.

00:06:40: Und ich habe mal den schlauen Satz gehört vor ein paar Jahren, das war zu Beginn der Corona Pandemie, wo gesagt wurde: „Ja die Digitalisierung ist ein Segen in vielerlei Hinsicht, Homeoffice und Co.

00:06:53: Aber auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass die Digitalisierung nicht zu so einer Art digitalem Katzentisch für die Behinderten wird.“ Also, dass da gesagt wird: „Ja, wieso? Du kannst ja virtuell mitmachen, dann müssen wir den

00:07:06: Aufzug im Gebäude gar nicht erst bauen.“

00:07:08: Mhm. Das stimmt.Dass wir behinderte Menschen dann im Digitalen quasi auslagern und Digitalisierung ist auch wie jede andere Technologie auch:

00:07:18: das Auto, die Atomkraft, die Atomenergie, zum Guten, wie zum Schlechten einsetzbar. Das ist erst mal kein 

00:07:27: Automatismus, dass alles besser ist.

00:07:30: Das stimmt, ich kann das nur unterstreichen. Also Digitalisierung per se ist nicht das Pflaster, was uns allen noch gefehlt hat. Es gibt

00:07:40: Unterschiede, also unterschiedliche Beeinträchtigungen. Ich weiß von Diskussionen mit Studierenden, dass es auch Studierende zum Beispiel gibt, die würden nie in einem Hörsaal gehen können,

00:07:50: aus psychischen Gründen, weil sie einfach Angst haben vor Menschen und so weiter und für die war die Möglichkeit, das online zu machen, tatsächlich ein Segen, weil sie gesagt haben: „Alex, das war die einzige Möglichkeit, mit meinen Ängsten umzugehen.“

00:08:03: Aber wir müssen tatsächlich wirklich aufpassen, dass es für die, die tatsächlich in einen Hörsaal gehen wollen, es denen auch ermöglichen und nicht sagen: Mach es doch online und dann bist du halt alleine vorm Bildschirm, wenn es nicht das ist, was ihm oder ihr hilft.

00:08:15: Ja, dann ist das nicht die Lösung.

00:08:19: Raúl, du hast eben schon angesprochen, dass die Gefahr besteht, dass Digitalisierung eben auch zu digitalen Katzentischen führt. Wie

00:08:29: meinst du, können wir das auch im Hinblick von Bildung aktiv vermeiden? Was können wir für Stellschrauben nutzen, dass es keine digitalen Katzentische werden?

00:08:40: Indem wir

00:08:43: den Menschen im Mittelpunkt - das klingt jetzt nach „Eso“ oder so ein bisschen nach Bullerbü - aber den Menschen im Mittelpunkt einfach betrachten, unabhängig davon, ob er eine Behinderung hat oder nicht. Also natürlich davon auszugehen, dass behinderte Menschen auch

00:08:58: die Wahl haben wollen, ob sie das Gebäude besuchen wollen, physisch oder virtuell mitmachen wollen. Interessanterweise

00:09:07: hat die Corona-Pandemie ja dazu geführt, dass Digitalisierung

00:09:13: überhaupt erstmal debattiert wird. Ja, also ich meine die IU ist ja da schon wahrscheinlich weiter als andere Universitäten, aber

00:09:23: ich fand das total interessant, dass plötzlich Homeoffice möglich wurde, für alle,

00:09:30: aber behinderten Menschen, die Jahre davor immer gesagt wurde: „Ja nee, das geht nicht wegen Datenschutz, wegen keine Ahnung was, wegen Sicherheit

00:09:40: und keine Ahnung, der DSGVO haste alles nicht gesehen.“ Ja, und auf einmal installiert sich jeder ZOOM auf seinem Laptop

00:09:49: und scheint dann doch kein Problem gewesen zu sein. Und das ist genau das,

00:09:54: was ich so ein bisschen bedauere, dass behinderten Menschen in vielerlei Hinsicht gar nicht zugehört und geglaubt wird,

00:10:01: weil das, was sie sagen, ist ja nicht irgendwie „Wünsch dir was“, ja, sondern das sind dann oft auch berechtigte Anfragen, Forderungen oder meistens sind es sogar berechtigte Sachen.

00:10:16: Die werden einfach nur ignoriert.

00:10:19: oder übergangen, weil es erst mal Arbeit, nach Arbeit klingt, Arbeit macht, umständlich ist. Aber die Digitalisierung kann früher oder später auch allen Menschen die Arbeit und das Leben erleichtern.

00:10:30: Ich vergleiche es mal, das klingt jetzt so pathetisch, aber nehmen wir noch mal den Aufzug am Berliner Hauptbahnhof.

00:10:38: Das Ding wurde ursprünglich mal gebaut, der Aufzug als solches, für Menschen, die nicht gut mit Treppen sind. Aber, wenn man sich anguckt, wer diesen Aufzug benutzt, dann sind das zu 99 % nicht-behinderte Menschen.

00:10:50: Und es geht nicht darum, dass Behinderte irgendwo mitmachen wollen. Es geht darum, dass Barrierefreiheit allen Menschen

00:11:00: auch das Leben erleichtert. Es gibt keine Barrierefreiheit, die einem nicht behinderten Menschen je eingeschränkt hat, sei es ein Aufzug oder Untertitel.

00:11:08: Aber ich glaube, du hast was ganz Wichtiges gesagt. Das ist ein Mindset-Ding. Auch bei der Lehrerin, die du vorhin erwähnt hast. Ich glaube, das ist einfach dieses Typische, was wir so kennen:

00:11:17:  „Ich bin nicht dafür zuständig!“, „Das macht mir noch mehr Arbeit.“, „Das nervt jetzt.“, „Das ist außer der Reihe.“, „Jetzt noch on top.“, „Ich will nicht dafür zuständig sein.“ Und das ist ein ganz schlimmes Denken. Ich weiß nicht, woher das kommt. Ob das eine Mindset-Sache ist,

00:11:31: ich kanns jetzt nicht hinterfragen, ich weiß es nicht.

00:11:37: Einen großen Beitrag leistest du, indem du darüber sprichst und Öffentlichkeit

00:11:42: dem gibst. Und ich glaube, du hattest es mal auch in einem Video erwähnt, dass ganz viele Errungenschaften, also digitaler Art, die wir jetzt haben, darauf beruhen, dass quasi Menschen mit Behinderung diese Hilfsmittel gebraucht haben. Und so sind sie dann überhaupt entstanden. Ich glaube, das weiß kaum einer.

00:11:59: Also ich weiß es jetzt, weil ich dir zugehört habe. Aber das ist uns jetzt so nicht bewusst,

00:12:05: was für ein Potenzial das bringen würde, wenn man das so vielleicht vielen Menschen erklärt, wie du das so netterweise gesagt hast. Vielleicht würde es auch das Mindset etwas ändern. Ich weiß es nicht.

00:12:17: Also das ist ein guter Punkt. Also die elektrische Zahnbürste beispielsweise ist eine Erfindung, die ursprünglich für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gemacht wurde. Das E-Book

00:12:27: ist eigentlich eine Erfindung gewesen für Menschen, die sehbehindert sind und die Schriftgrößen von Büchern verändern wollten.

00:12:34: Alexa in ihrem Wohnzimmer, in eurem Wohnzimmer, ist eigentlich nichts anderes als die

00:12:40: Perfektionierung des Sprachcomputers, das früher 4.000 € oder 10.000 € gekostet hat, den die Krankenkasse bezahlt hat und totaler Scheiß war. Und eigentlich erst durch die

00:12:53: Mainstreamisierung dieser Produkte wurden sie gut, weil plötzlich ein Markt entstand.

00:12:59: Der E-Scooter, den wir auf der Straße sehen, den wir alle hassen und verfluchen

00:13:04: und lieben gleichzeitig - eine ganz komische Beziehung habe ich zu diesen Dingern - ist im Prinzip auch nur ein zweirädriger elektrischer Rollstuhl.

00:13:16: Also von der Technologie ist es einfach das Gleiche. Und

00:13:21: ich will nicht sagen, dass der Elektroroller der Vorgänger vom E-Scooter war, aber es kann durchaus sein, dass es die ein oder andere Innovation in dem einen oder anderen Bereich gab.

00:13:31: Und

00:13:33: das zu denken ist glaube ich sicherlich auch für uns alle als Ressource ganz interessant, weil eben ganz viele Innovationen

00:13:42: aus den Köpfen behinderter Menschen kommen und aus den Bedarfen, von denen wir alle später wie gesagt auch beim Aufzug profitieren.

00:13:49: Allerdings dürfen wir bei diesem Mindset-Ding nicht stehenbleiben. Weil wenn wir sagen, es ist alles nur eine Frage der Einstellung und man muss die Leute irgendwie aufklären und sensibilisieren. Oder diese Floskel:

00:14:02:  „Wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken, weiter bemühen.“ Dann verkennen wir dabei aber auch, dass es auch gesetzgeberisch

00:14:11: etwas geändert werden sollte. Also dass es zum Beispiel nicht sein darf, dass es nach wie vor Universitäten gibt, die nicht barrierefrei sind.

00:14:22: Und dass es auch nicht mehr okay ist,

00:14:25: dass Studierende mit Behinderung über den halben Campus zu jagen, 1000 Irrwege zu gehen und

00:14:35: 40 Aufzüge benutzen zu lassen, um wie alle anderen den Hörsaal zu wechseln. Nur die alle andere ohne Behinderung, können einfach ganz normal zwei Stockwerke laufen. Und da

00:14:45: denkt man manchmal auch ein bisschen zu kurz, dass dann man sagt: „Ja, ja, wieso, ist doch barrierefrei.“ - dauert halt nur 40 Minuten,

00:14:52: während alle anderen nur zwei brauchen. Ja, ich übertreib jetzt mal ein bisschen. Und, und das ist dann eben auch nicht gleichwertig. Das heißt, diese Gleichwertigkeit müssen wir auch

00:15:03: viel mehr in den Blickpunkt nehmen. Und da kann eigentlich nur der Gesetzgeber ran. Das ist keine Sache von: Wir müssen irgendjemanden aufklären

00:15:12: und wir müssten dann eben Architekt:innen verpflichten, das nutzerfreundlich zu gestalten. Wir müssen Universitäten verpflichten, Barrierefreiheit

00:15:22: zu machen und nicht erst 2070, sondern am besten in den nächsten Jahren.

00:15:28: Und das setzt sich natürlich alles fort… ÖPNV, Zugang zur Universität: „wie kommst du da überhaupt hin?“ Wie kann es sein, dass der U-Bahnhof Mierendorffplatz von der UDK immer noch keinen Aufzug hat? Und so weiter. Also das ist einfach kacke.

00:15:44: Und das ist vielleicht auch einfach mitzudenken. Ich plaudere jetzt ein bisschen „insights“, aber wir hatten zum Beispiel ein Seminar: alles online, aber es hatte doch Präsenzanteile. Als die Präsenzanteile geplant worden sind, hat keiner drüber nachgedacht, dass möglicherweise Menschen mit Behinderung zu diesen Präsenzanteilen

00:16:02: nicht einfach so anreisen können, wie es quasi im Modulhandbuch stand. Das hat man halt erst herausgefunden, als es tatsächlich losging: „Komm, jetzt findet das statt.“ und es ist dann zu Problemen gekommen. Es hat halt einfach keiner

00:16:14: mitbedacht…. Genau. „Das ist ja kein Problem: „Präsenzanteil““

00:16:20: Ich will nicht sagen, dass der Gesetzgeber uns verpflichten muss, weil wir sonst nicht dran denken, aber das hat uns erst sensibilisiert daran zu denken: „Halt, wenn wir das nächste Mal was planen, müssen wir es einfach mitbedenken, ja“.

00:16:30: Das war halt so ein Fall. Wenn es jetzt gesetzgeberisch festgehalten wäre, hätten wir von Anfang an, aber wir müssen auch selber, wir können einfach nicht. Ich will jetzt nicht mit dem Finger „pointen“ und sagen: „Erst wenn der Gesetzgeber mich verpflichtet, werde ich daran denken.“, sondern jetzt haben wir es gelernt. Jetzt müssen wir es einfach

00:16:43: von uns aus das mitbedenken, dass es nicht für alle den gleichen Zugang gibt.Genau, und das kann man zum Beispiel als Unternehmen ganz gut angehen, dieses Thema,

00:16:54: wenn selber in der eigenen Belegschaft behinderte Menschen

00:16:58: mitarbeiten, die dann auch Entscheidungskompetenzen haben. Weil Studierende sind in der Regel ja eher die Konsument:innen.

00:17:05: Absolut. Und selten die, die entscheiden, wo welcher Raum benutzt wird. Und das heißt im Planungsprozess behinderte Menschen auch

00:17:14: zu beteiligen und nicht nur zu beteiligen im Sinne von „mal kurz anhören“, sondern eben auch mitentscheiden lassen. Das ist, glaube ich, die Lösung.

00:17:23: Alex, ihr habt es schon angesprochen: Die IU Internationale Hochschule setzt sich stark für Inklusion ein, ist in vielen Teilen auch schon sehr weit. Welche Ansätze und Maßnahmen werden diesbezüglich verfolgt? Wo siehst du

00:17:34: die Punkte?Ja, also am Anfang haben wir es uns auch ganz einfach so gemacht, wie wir es gesagt haben: „Naja, das ist doch alles digital. Wir haben doch ein Video.

00:17:42: Ist doch alles gut. Wir haben doch ein PDF.“ Und jetzt? Wir mussten es halt peu à peu angehen. Das ist nicht alles. Nur weil es ein Video ist, heißt es nicht, dass es allen hilft. Das heißt, wir müssen gucken, dass es einen Untertitel gibt. Wir müssen gucken, dass Untertitel nicht in zwei Sekunden durch ist, sodass kein normaler Mensch überhaupt lesen kann, was auf diesen Untertitel ist.

00:18:02: Wir lernen jeden Tag dazu und es gibt keine Ausreden. Technik ermöglicht,

00:18:10: dass wir das halt immer mehr perfektionieren. Unsere Herausforderung war quasi: Was machen wir mit den Alten? Also wenn wir jetzt neue Sachen produzieren und so weiter, dann haben wir das im Blick. Was machen wir mit den Alten? Das dauert halt, bis man alles umstellt.

00:18:23: Aber ich glaube, dass diese Technik jetzt uns

00:18:26: so viel ermöglicht, wie es halt noch nie vorher war. Wie umständlich war es vorher diese Videos oder die Bücher oder alles andere barrierefrei zu gestalten?! Jetzt

00:18:38: haben wir die Möglichkeit. Jetzt ist es einfach nur ein Wollen oder haben wir es auf der Agenda und wollen wir es uns auf die Agenda schreiben? Und da sind wir jetzt.

00:18:48: Mit Sicherheit sind wir weiter als andere Hochschulen. Sind wir da, wo wir hinwollen? Nein, sind wir nicht. Lernen wir jeden Tag dazu? Das tun wir.  

00:18:58: Ich würde es echt irgendwie

00:18:59: cool finden, wenn wir jetzt weiterdenken und sagen, es kommen jetzt so viele AI-Tools dazu. Wie können wir es vielleicht sogar schaffen diese AI-Tools für Menschen für Behinderung auch zugänglich zu machen?

00:19:13: Ich weiß es nicht. Kann Chat-GPT von allen genutzt werden?

00:19:16: Wahrscheinlich nicht. Und da fängt es schon an, wenn das nicht der Fall ist, dann schneiden wir doch eine Bevölkerungsgruppe schon von Anfang an von diesem Zugang, der

00:19:27: uns vielleicht schon wieder revolutioniert, so wie das Auto uns nach vorne gebracht hat. Und ich glaube, wir sollten wirklich weiterdenken als „Videos für alle zugänglich machen“, sondern so ein richtig

00:19:38: visionären Blick nach vorne und sagen: Wie müsste es wirklich aussehen, damit wir alle mit reinbringen und nicht denken, wir tun denen einen Gefallen?

00:19:46: Es ist so lange schon festgestellt worden: Diversity ist das, was uns alle nach vorne bringt. Wir tun niemandem einen Gefallen, nur weil wir ihm

00:19:53: oder ihr einen Zugang geben. Also weißt du, das ist auch das Gleiche, wie bei Frauen: „Oh, sie darf ja mal“ oder Menschen mit Behinderung: „Er darf auch mal dabei sein“.

00:20:02: Wer ist es, der darüber entscheidet, dass wir einen Gefallen tun oder nicht? Also das finde ich auch ein schwieriges Mindset. Um jetzt zu deiner Frage zurückzukommen: Wir sind nicht da, wo wir sein wollen.

00:20:16: Ich würde es mir gerne noch weiter wirklich draufschreiben und sagen: Lasst uns doch AI so nutzen, damit wir wirklich diese Inklusion auch hinkriegen und es irgendwie

00:20:26: vielleicht mithilfe von AI das schaffen, was wir bis jetzt nicht geschafft haben. Vielleicht kann AI Diskriminierungen online für uns

00:20:36: herausfinden. Vielleicht kann uns AI sogar zeigen, wo Nachholbedarf ist. Ich weiß es nicht. Ich denke einfach laut nach.

00:20:44: Du bist sehr innovationsinteressiert und hast dich natürlich mit ChatGPT und den KI-Möglichkeiten auch schon beschäftigt.

00:20:51: Was meinst du, inwieweit können wir die Barrieren damit aufheben und Bildung auch für Menschen mit Behinderung zugänglich machen?

00:21:02: Ähm. Ich habe gestern einen ziemlich interessanten Talk gesehen von der re:publica auf YouTube, von dem 

00:21:11: KI-Experten Tante.

00:21:13: Das war ein ziemlich guter Vortrag, wo er eben auch sagt: „Ja, wir müssen auch ein bisschen aufpassen mit dieser Technologie-Gläubigkeit oder das, was die FDP Technologie-offen nennt.“ Die Technologien werden nicht unsere Probleme lösen.

00:21:28: Es sind immer Menschen,

00:21:30: die die Probleme lösen. Und die Fragen, die wir Technologien stellen, sind menschengemachte Fragen.

00:21:38: Und da dürfen wir das letztendlich nicht so ein bisschen auslagern. „Ja, ja, KI wird das schon alles lösen“. Weil das Elektroauto wird auch nicht die Verkehrswende bringen,

00:21:51: sondern das ist dann wahrscheinlich eher der Ausbau des ÖPNVs. Wenn wir weniger Autos auf den Straßen wollen

00:21:58: nicht nur aus Umwelt- CO2-Gründen, sondern einfach auch aus Platzgründen, aus Sicherheitsgründen, aus so vielen anderen Gründen

00:22:07: zusätzlich, wird ein Elektroauto dieses Problem nicht lösen. Das heißt, das Einzige, was das Elektroauto macht, ist die Automobilindustrie zu retten,

00:22:15: aber nicht das Klima. Und so ähnlich ist es auch mit dieser Technologie-Gläubigkeit. Zu glauben mit ChatGPT und Co., KI

00:22:25: können wir die Welt retten. Weil erstmal

00:22:30: ich habe mit KI ganz viel experimentiert. Ich habe geguckt, okay, was kann eigentlich Dall-E oder wie diese ganzen anderen Bildgeneratoren heißen.

00:22:41: Wie stellt ihr eigentlich Behinderung dar?

00:22:45: Und dann habe ich mir Bilder generieren lassen. Und es ist erschreckend, wie hässlich die Rollstühle sind, die diese KI dann ausspuckt im Sinne von Krankenkassenrollstühle.

00:22:57: Also, du siehst als jemand, der im Rollstuhl sitzt, der einen Rollstuhl benutzt, tagtäglich, dass das

00:23:04: auf jeden Fall kein guter Rollstuhl ist. Und auch

00:23:07: wenn ich mal eure Webseite angucke, da im Bereich Diversity. Da sieht man eine Frau im Rollstuhl in einem Team. Wo ich schon sehe, dass das nicht das Team der Universität ist, sondern ein Stockimage.

00:23:22: Weil die Person im Rollstuhl nicht in einem Rollstuhl sitzt, den sie ständig gebraucht, sondern für das Foto da reingesetzt wurde, und das sehe ich. Und dann fühle ich mich natürlich nicht repräsentiert

00:23:34: als behinderter Mensch. Und das wird eine KI uns nicht lösen können. Anderes Beispiel: Untertitel mit KI zu erstellen.

00:23:42: Ja, wir kommen da 90% weit mit, aber schreibt trotzdem meinen Namen Raúl, schreibt er Frau.

00:23:51: Und so und das heißt, das muss am Ende immer ein Mensch drüber gehen und es korrigieren. Und diese Arbeit

00:23:58: versuchen wir zu vermeiden mit KI. Das also das ist lästig, damit wollen wir nichts zu tun haben. Das ist ungefähr so wie: Dafür bin ich nicht ausgebildet, das sollen Fachkräfte machen.

00:24:08: Aber KI ist keine Fachkraft und KI ist letztendlich eine Hilfe.

00:24:15: So wie der Aufzug eine Hilfe ist. Aber

00:24:20: es ist nicht die Lösung für alles und alle Behinderungsformen und der muss auch gebaut werden von einem Menschen, der muss gewartet werden, wie ein Aufzug. Das ist nicht

00:24:31: immer dann alles super.

00:24:33: Absolut. Raúl, ich stelle oft fest, dass diese Themen rund um Inklusion auch auf starke Ängste immer trifft. Quasi „Angst, was falsch zu machen“, „Angst, etwas nicht richtig zu tun.“, „Die Ansprache falsch zu formulieren.“.. und dann

00:24:47: geht es oft in diese Richtung - getreu dem Motto – „Gut gemeint ist nicht gut gemacht“. und im Umkehrschluss wird dann oft gar nichts unternommen. Wie können wir das verhindern? Und wie können wir wirklich jeden motivieren zu sagen: Geh es an und geh den Weg der Inklusion, weil das eigentlich nur der einzig Richtige ist.

00:25:03: Also, die IU könnte jetzt zum Beispiel sagen: „Okay, wir müssen erst mal anerkennen -das tut ihr ja auch schon - anerkennen, dass es bestimmte

00:25:13: Themen gibt, die können jetzt nicht die Studierenden ändern, die Studierenden entscheiden. Deswegen gibt es dafür Verantwortliche im Gleichstellungsbereich,

00:25:22: Präsident der Uni, ich weiß nicht wie da eure Orgastruktur ist, die bestimmte Entscheidungskompetenzen haben: „Hier wird ein Aufzug gebaut.“ Ja oder nein. Oder hier investieren wir Geld in Barrierefreiheit.

00:25:36: Und diese Mandatsfrage einmal geklärt zu haben: Wer entscheidet was? Entlastet natürlich auch alle anderen Menschen jetzt sich ständig für alles betroffen und verantwortlich zu fühlen. 

00:25:49: Und so hart es jetzt klingt ja, aber Studierende

00:25:55: haben nicht das Recht oder das Mandat zum Beispiel zu sagen ich möchte nicht mit Behinderten zusammen studieren.

00:26:04: So, oder auch Dozierende haben nicht das Recht zu sagen: „Ich möchte nicht Studierende mit Behinderung unterrichten.“

00:26:14: Das Mandat hatten sie nie und dürfen sie sich nicht rausnehmen jetzt plötzlich, weil jemand mit Behinderung da ist, weil sie das auch nicht über Rothaarige sagen würden und das mal zu klären.

00:26:24: Ich glaube nicht, dass das bei euch passiert, aber in Schulen und Kindergärten passiert so was.

00:26:30: Das mal zu klären ist, glaube ich, eine ganz wichtige Ansage, die von oben kommen muss,

00:26:34: weil dann letztendlich einfach gesagt wird: „Wenn dir das nicht passt, dass jeder Studierende mit Behinderung dabei ist, dann hast du jederzeit die Gelegenheit zu gehen. Niemand zwingt dich, hier zu studieren oder wechselt die Schule, wenn dir das nicht passt. Aber wir machen das jetzt hier 

00:26:49: so.“

00:26:51: Und je früher wir das machen, wenn wir im Kindergarten damit schon anfangen würden, dann würden Kinder ja völlig beiläufig lernen,

00:27:00: was Vielfalt bedeutet. Dass es natürlich verschiedene Körperformen gibt, Farben, Geschlechter usw. Religionen, Ethnien

00:27:10: und eben auch Behinderungen. Und dann

00:27:13: ist es auch leichter, das später im Erwachsenenleben anzuwenden. Aber ich bin sehr oft mit meinen 42 Jahren immer noch der erste Mensch mit Behinderung, auf den andere gleichaltrige Menschen treffen.

00:27:26: Und dann sind die mega verunsichert. „Kann ich Herrn Krauthausen die Hand geben?“ „Ja oder nein?“ Und dann denke ich so: „Man

00:27:34: reich mir doch einfach die Hand und achte darauf, wie ich reagiere.“ Aber von vornherein Angst zu haben, etwas falsch zu machen,

00:27:43: macht das Ganze noch viel schlimmer. Behandele Menschen mit Behinderung so, wie du jeden anderen

00:27:49: behandeln würdest. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Und wenn du unsicher bist, frag,

00:27:57: aber frag nicht vielleicht gleich am Anfang nach der Diagnose als Kennenlernenfrage. Das ist nie gut, weil du das auch nicht von dir aus

00:28:05: beantworten würdest. Und ich glaube irgendwann

00:28:09: mit der Zeit nach zwei, drei Stunden oder Tagen haben wir dann auch die ersten Unsicherheiten auch komplett abgelegt.

00:28:18: Du sprichst Mut aus, sich zu trauen.Und du hast was Wichtiges angesprochen. Wenn ich mich so zurückerinnere: Inklusion war nie ein Thema bei mir in der Schule. Das fand einfach nicht statt

00:28:30: als Studierende. Wir haben diese Probleme als Hochschule nicht weil ich glaube, die Studierenden, die die zu uns kommen, sind schon viel weiter. Und kein Dozent würde sagen:Ich möchte niemand mit Behinderung unterrichten und kein Professor. Aber ich glaube, das fängt viel früher an,

00:28:44: ich hatte keine Berührung mit Inklusion…Genau.und viele, wie du schon sagst, haben diese Berührungen nicht. Und warum nicht? Weil es nicht gewollt ist, weil es nicht angedacht ist, dass man diese Berührungen halt hat. Und

00:28:54: das würde es vieles erleichtern. Und ich bin eigentlich entrüstet, dass Lehrkräfte sowas sagen können und sagen: „Ich unterrichte nicht, weil das ein Mensch mit Behinderung ist“, das

00:29:04: ist es genauso schlimm, als wenn er sagen würde: „Ich unterrichte nicht, weil du blond bist“, „Weil du rote Fingernägel hast“ oder was auch immer. Das ist eine Art von Diskriminierung, die nicht stattfinden sollte. Punkt.

00:29:14: Aber sie passiert, aber ich mein wir brauchen die um letztendlich die Medien aufschlagen, wenn es um das Thema Unterricht für Geflüchtete angeht.

00:29:22: Ja also es ist ja nicht so, dass es nur die Behinderten trifft. Und 1920 haben wir in Deutschland diskutiert, ob wir Jungs und Mädchen gemeinsam beschulen wollen. Und die Gründe dagegen waren,

00:29:33: dass die Jungs abgelenkt sein könnten, weil hübsche Frauen oder Mädchen in der Klasse sind. Und

00:29:39: das, das ist genau die gleiche Scheiße, den wir jetzt von den nichtbehinderten Eltern hören, wenn sie sagen: „Ich möchte nicht, dass mein Kind aufgehalten wird von einem Kind mit Behinderung in der Klasse.“ Es ist genau das gleiche, nur eben anders.

00:29:53: Ja.Und Kinder können damit ganz anders umgehen. Also wir hatten bei uns, also meine Tochter, in der ersten Klasse, hatten wir einen Mitschüler, der auf Hilfe angewiesen war und die Kinder sind damit ganz normal umgegangen und

00:30:07: sie kennen das das ist nichts Besonderes und das ist ja das Tolle. Der war, der ist immer noch genauso integriert wie jeder andere Schüler auch, nur weil es stattgefunden hat. Und das fand ich toll.Genau.

00:30:17: Das war in meiner Schulzeit nicht so.Und deine Tochter hat aber auch das Recht

00:30:21: zu lernen - und das finde ich einen ganz wichtigen Aspekt, den wir bei solchen Debatten nie vergessen dürfen: Zu lernen, dass Menschen mit Behinderung auch Arschlöcher sein können.

00:30:31: Es geht nicht immer nur darum, dass behinderte Menschen geholfen werden muss oder so. Deine Tochter kann zum Beispiel auch lernen, dass behinderte Menschen vielleicht etwas besser können als sie selbst.

00:30:43: Mathe, Bio, weiß ich nicht was.

00:30:44: Und das ist auch tatsächlich so!Genau.Ja, er ist ganz besonders begabt, was das anbetrifft.Genau und das heißt, dass dieses

00:30:53: vielfältige Perspektive auf Behinderung und nicht immer nur dieses: Wir müssen ja alle schützen, retten, schonen, betätscheln, paternalistisch behandeln, ihnen helfen, dann schaffen wir das alles nicht allein. Das ist auch zu kurz gedacht.

00:31:10: 2015 wurde von den Vereinten Nationen die Agenda Bildung 2030 verabschiedet mit dem Ziel, Menschen inklusiv chancengerecht und hochwertige Bildung sicherzustellen sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen zu fördern. Das war das Oberziel.

00:31:26: Wie realistisch haltet ihr dieses Ziel? 2015 ist ja schon eine Weile her. Wir haben jetzt 2023.

00:31:33: Was meint ihr?In sieben Jahren sollen wir das vollzogen haben. Ich sehe das kritisch.

00:31:39: Ich kann auch sagen, warum. Weil es für viele nicht im Fokus steht. Das steht auf irgendeinem Papier. Aber tatsächlich.

00:31:46: Also, es sei denn, du siehst das anders Raúl. Aber ich sehe das als zu utopisch, dass wir es bis 2030 so erreichen.

00:31:54: Mhm, also ich glaube, das liegt daran, weil es auch nicht sanktioniert wird.

00:32:03: Ja. Also es wird nicht bestraft. Wenn wir das gleiche diskutieren würden mit, keine Ahnung, Brandschutz, dann wäre nichts brandschutzsicher.

00:32:11: Wenn das alles so eine Freiwilligkeit enthält und ja könnte und so und es kommt nicht die Brandschutz-Polizei,

00:32:19: die es ja gibt und  sagt: Nehmen wir doch mal den Berliner Flughafen,

00:32:24: den sie dann endlich eröffnet haben. Der wurde jahrelang nicht eröffnet, weil die Brandschutz-Auflagen nicht erfüllt werden wurden.

00:32:31: Mhm. Und das heißt scheinbar ist das so eine heilige Kuh die Brandschutz-Bestimmungen, dass das verhindern kann, dass ein Flughafen eröffnet wird. Und warum machen wir das mit dem Thema Barrierefreiheit nicht?

00:32:43: Und warum sind eigentlich die Leute, die Barrierefreiheit freigeben, also die dann keine Ahnung. Wir haben

00:32:49: jetzt die Grimm-Bibliothek, die wurde ja vor ein paar Jahren neu gebaut, in der Friedrichstraße,

00:32:54: und das ist ein nettes Gebäude, einigermaßen barrierefrei. Aber die haben bei den Treppen, die Handläufe vergessen

00:33:03: und die Aufzüge hinter feuerfesten Türen versteckt. Und das wurde dann

00:33:09: von dem Auftraggeber freigegeben und dem zuständigen Planer. Und sobald das freigegeben ist, ist der Architekt nicht mehr in der Haftung.

00:33:20: Oder die Architektin. Und wie konnte so was passieren, dass was freigegeben wurde, ohne dass das mal jemand getestet hat, der im Rollstuhl sitzt und das braucht? Einen Handlauf oder eben den Aufzug.

00:33:33: Und dann mussten die sehr teuer das nachrüsten, weil das halt für eine Universität auch nicht gut ist

00:33:40: und dem Image der Uni auch nicht zuträglich ist, wenn die Bibliothek nicht barrierefrei ist.

00:33:47: Raúl und Alex, um noch mal zur Frage der Folge zurückzukommen: Was ist eure Meinung, wie kann digitale Hochschulbildung inklusiv funktionieren, ohne auszugrenzen? Raúl, magst du beginnen?

00:33:59: Ich bin ja ein großer Freund davon, mal darüber nachzudenken, was bedeuten Wörter wie Teilhabe eigentlich?

00:34:07: Oder was bedeutet das Wort Teilhabe eigentlich? Und ich find sehr spannend, da zu sehen, dass Teilhabe, je länger ich darüber nachdachte,

00:34:18: eigentlich nur etwas ist, was Passives ist. Also Teilhabe bedeutet: Ein Studierender kann in die Uni kommen und mitlernen.

00:34:27: Teilgabe wäre, wenn die Dozierenden auch eine Behinderung haben.

00:34:33: Also, dass behinderte Menschen auch geben können.

00:34:37: Dass ist auch behinderte Schauspieler:innen gibt, dass es auch behinderte Verwaltungsfachangestellte gibt, die Gesetze machen und mitentscheiden, wo ein Aufzug gebaut wird

00:34:49: und eben nicht nur behinderte Menschen als die Konsument:innen gesehen werden, sondern eben auch als die Gebenden und Schaffenden und Produzierenden und

00:34:57: Entscheidenden. So wie wir das auch bei Frauen zunehmend denken, leider immer noch nicht genug, aber ja eben auch merken Männer können wahrscheinlich nicht alleine den Feminismus vorantreiben,

00:35:10: weil wir sehen ja, was dazu führt,

00:35:13: wenn in Führungsetagen nur Männer sitzen. Dann empfiehlt halt Martin den Martin und nicht die Helena.

00:35:23: Absolut. Das kann ich nur unterstreichen. Und das bringt mich wirklich auf die Idee, dass das halt nur zusammen geht. Und ich glaube, dass Inklusion bedeutet, dass auf beiden Seiten, also jetzt als Hochschule, sowohl Dozenten als auch Studierenden quasi,

00:35:39: und das erleichtert uns einfach das Zusammenleben und macht es uns, wie soll ich euch sagen, das macht doch viel mehr Spaß, wenn wir nicht alle Martin heißen, blond und blaue Augen haben und alle einen Meter achtzig groß sind. Es ist doch viel cooler, wenn wir uns dann unterhalten und nicht alle gleichgeschaltet sind.

00:35:57: Und das ist doch eigentlich das, was alle irgendwie dann im Hinterkopf behalten sollten.

00:36:08: Und dann noch mal vielleicht auf deine Tochter zurückzukommen, gehört aber eben auch anzuerkennen, dass

00:36:10: Inklusion nicht Bullerbü bedeutet.Das heißt nicht, dass wir uns alle lieb haben müssen, sondern wir werden uns auch streiten.

00:36:19: Und wir werden auch Auseinandersetzungen haben. Wir werden Reibungen miteinander haben, so wie Männer und Frauen auch

00:36:26: große Konflikte aktuell haben. Und dieses Bereichernde ist für mich manchmal ein bisschen zu sehr Bullerbü,

00:36:34: weil es wird nicht alles Geil werden. Wir werden erst

00:36:37: mal durch ein Tal von Tränen schreiten, bis wir aufeinander

00:36:44: zugegangen sind. Und im Moment ist es so, dass eigentlich vor allem die behinderten Menschen, auf die Nichtbehinderten,

00:36:51: jahrhundertelang zugegangen sind, indem sie versucht haben, genauso gut zu sein, stark zu sein, sich anzupassen und so weiter und so fort. Und jetzt wäre es vielleicht mal an der Zeit, dass die nicht behinderten Menschen

00:37:03: jahrhundertelang auf die behinderten Menschen zugehen. Vielen Dank, Raúl, für diese wichtigen Worte.

00:37:13: Zum Abschluss kommen wir heute noch zu einer neuen Kategorie, die wir ab jetzt in unserer zweiten Staffel immer oder mit dabei haben. Und ich würde euch bitten um eine ganz kurze Zustimmung oder Ablehnung. Ich habe drei Aussagen für euch und

00:37:26: freue mich auf eure Einschätzung.

00:37:28: Zu wenig deutsche Hochschulen haben ein ausgereiftes Inklusionskonzept bzw. setzen Inklusion nicht hoch genug auf die Agenda. Was meint ihr?

00:37:38: Ja, Punkt.

00:37:40: Ha, ja ich weiß auch nicht, wo hier die Uneinigkeit bestehen könnte, wenn der Podcast Einig Uneinig heißt. Vielleicht sind wir einig einig,

00:37:49: aber auf jeden Fall, natürlich nicht. Und das geht ja nicht nur da jetzt um die Hochschule als Gebäude oder als Lehrmaterial. Es geht ja noch weiter. Studierendenwerke, Studierendenwohnheime, überhaupt barrierefreie bezahlbare Wohnungen.

00:38:03: Die gibt es ja. Es gibt ja schon kaum bezahlbare Wohnungen, dann barrierefreie, bezahlbare Wohnungen gibt es dann quasi noch weniger.

00:38:10: Inklusive Bildung kann zu einer Senkung des allgemeinen Leistungsniveaus führen, da die Anpassung des Unterrichts an individuelle Bedürfnisse eine Homogenisierung des Lernstoff erforderlich macht.

00:38:25: Ganz schlimm, ganz schlimme Aussage.

00:38:28: Ja, das klingt für mich nach einer konservativen Person im Bildungsbereich, die noch nie zuvor mit einem behinderten Menschen außerhalb des Wohlfahrtskosmos gesprochen hat.

00:38:41: Wir wissen eigentlich schon seit Jahrzehnten, internationale, zahlreiche Studien wurden dazu gemacht, zuletzt von Bertelsmann in Deutschland.

00:38:51: Das zieldifferenter Unterricht,

00:38:54: die Lösung wäre. Also jedes Kind, jede Person lernt anders in einem anderen Tempo. Völlig egal, ob behindert oder nicht.

00:39:02: Und das anzuerkennen, macht moderne Pädagogik aus. Lehrer:innen sind nicht mehr die frontal Unterrichtenden, sondern

00:39:11: Lehrer:innen sind zunehmend Moderator:innen,

00:39:14: die im Team arbeiten, die versuchen, jedes Kind dort abzuholen, wo es oder sie, wo er oder sie steht. Und

00:39:23: dann letztendlich, diese Zieldifferenzierung kann

00:39:30: es ermöglichen, dass kein Kind aufgehalten wird, weil eines noch nicht so weit ist. Im Gegenteil, es kann sogar dazu führen, dass hochtalentierte Kinder

00:39:41: auch die Förderung bekommen, die ihnen zusteht an einer Regelschule. Und

00:39:46: wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern kleine Klassen, mehr Pädagog:innen

00:39:53: sind immer die Antworten für alle Kinder, egal ob talentiert oder behindert oder sagen wir mal, Durchschnitt.

00:40:02: Und als letzte Aussage: Es wird aktuell zu wenig getan, um eine inklusive Bildung zu ermöglichen.

00:40:09: Ja, es wird zu wenig getan und ich glaube, das wird als Ausrede immer benutzt. Wir haben andere Probleme,

00:40:14: die jetzt viel dringender sind. Das ist ja genau das Gleiche wie du schon sagtest, mit den Frauen. Es ist doch jetzt viel wichtiger, ob wir gendern oder nicht, dass wir die Wärmepumpenprobleme lösen. Ich glaube, wir müssen einfach wissen, es wird nie der richtige Zeitpunkt kommen und es wird immer zu wenig getan. Und es wird nicht deswegen zu wenig getan, weil wir

00:40:33: keine Zeit oder sonst was finden, sondern es einfach, weil es nicht im Fokus steht.

00:40:37: Es wird nicht einfach auf die Agenda geschrieben.Ja, ich mein vor der Wärmepumpe war es der Ukrainekrieg,Genau!war es Corona, waren es Geflüchtete. Es ist immer irgendetwas wichtiger

00:40:48: in Anführungsstrichen als das, was aktuell gemacht wird. Und

00:40:54: ich finds auch total interessant, dass ganz oft dann das Wort „alternativlos“ genannt wird. „In der aktuellen Situation ist es alternativlos.“ „Wir können nur so handeln.“

00:41:04: Und das macht eigentlich auch alle Menschen unmündig.

00:41:10: Und will eigentlich nur damit sagen: „Ich sag hier, wie's läuft. Alle andern haben die Klappe zu halten.“

00:41:16: Jemand, der sagt „das ist alternativlos“, lässt keine andere Meinungen mehr zu.

00:41:21: Und das müssen wir jetzt auch viel, viel kritischer hinterfragen. Und gleichzeitig aber auch die Haltung bewahren, zu sagen, dass auch nicht alles diskutiert werden muss. Also es gibt einfach Leute, die haben kein Mandat in der Rolle,

00:41:35: in der Situation, wie zum Beispiel Eltern nichtbehinderter Kinder, haben nicht das Mandat zu sagen: „Ich möchte nicht, dass mein Kind mit behinderten Kindern lernt.“

00:41:46: Das ist einfach nie okay. Weil eine Amazon Lieferantin auch nicht sagt, „Ich beliefere grundsätzlich nur Lockenköpfe“.

00:41:55: Absolut richtig. Raúl, danke, dass du heute da warst. Und Alex, ich hätte noch gerne lange mit euch gesprochen.

00:42:02: Und Raúl? Ja, du sagst es richtig. Heute waren wir uns sehr einig. Und ich freue mich, dass wir dieses wichtige Thema diskutiert haben und weiter daran arbeiten, dass mehr Inklusion stattfindet in der Bildung insgesamt und auch darüber hinaus natürlich.

00:42:14: Vielen lieben Dank, Raúl Krauthausen, Inklusionsaktivist und Gründer der Sozialhelden und danke Professor Dr. Alexandra Wuttig, Kanzlerin der IU Internationale Hochschule.

00:42:24: Wenn du keine Folge verpassen möchtest, kannst du den Podcast auf Spotify und auf allen gängigen Plattformen abonnieren. Und wenn dir der Podcast gefällt, freue ich mich auch sehr über eine Bewertung.

00:42:33: Hast du selber ein Thema zur digitalen Bildung, über das du mit Alexandra diskutieren möchtest? Dann schreib uns gerne eine Mail unter einiguneinig@iu.org.

00:42:42: Die findest du auch noch mal in den Shownotes. Tschüss und bis zum nächsten Mal bei Einig Uneinig.

00:42:46: Music.

00:43:02: Produziert von Podstars by OMR

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